HeimatSeit 2005Dort wo das Jagdzimmer
Teil des Kärntner Einfamilienhauses
Beliebtes Gästezimmer für Geselligkeit
Dort wo der Trieb Geweihe an der Wand bluten läßt
Wo in der Zirb’nstub’n Äste mit Jahresringen rangeln
Wo in der Kuch’l Schürzen
der Weibersleut’ Eitelkeit zieren
Wo im Herrgottswinkerl Stoßgebete ausgeweint
Ja dort bin ich fündig geworden:

Dort beginnt mein teures Heimatland

Ina Loitzl

Ich freue mich, dass mehrere Autorinnen Texte meinen Ausstellungen zum Thema Heimat gewidmet haben:
Magdalena Felice
Hannes Etzelstorfer
Brigitte Borchhardt - Birbaumer
Image(c) Marko LipusImageImageImage

Heimat IV - Wia a Zwitschern im Ohr und a Brett'l vor'm Kopf  

 

 

Heimat mag für jede/n individuell etwas anderes bedeuten. Doch wird der Begriff als Ausdruck für etwas Gemeinschaftliches, Verbindendes verwendet, im Sinne von „Unsere Heimat“, so ist man sehr schnell beim Brauchtum angelangt, der lebendigen Kultur einer festen (meist regionalen) Gemeinschaft, die identitätsstiftend und integrierend wirkt und die das Leben dieser Gemeinschaft durch gewachsene Bräuche, Riten und Feste strukturiert. Vor allem in ländlichen Regionen werden „Brauchtum“ und „Tradition“ als stabilisierende, gemeinschaftsbildende Faktoren hochgehalten und gepflegt.

 

Ina Loitzl, die seit mehr als zehn Jahren in Wien lebt, setzt sich u. a. seit 2005 in ihrem künstlerischen Werk kritisch und gegenwartsbezogen mit Tradition, Brauchtum und Folklore auseinander. Es geht ihr weniger um die Themen an sich als um das Eindringen dieser in die privaten und gesellschaftlichen, konkreten und sozialen Handlungsräume und Handlungsgepflogenheiten der Menschen. In ihren Arbeiten greift sie diverse Elemente des Kärntner Brauchtums sowie fremder Kulturen auf und verbindet sie mit zeitgemäßen Motiven und Techniken zu vorderhand humorvollen, aber tief hintergründigen Arrangements, die die Kluft zwischen Form und Inhalt offensichtlich machen. Sie verweisen auf den Bruch der Kontinuität, wenn die Bedeutung verloren geht und Bräuche zum Selbstzweck verkommen. Zugleich kann die Form durch neue Inhalte aufgeladen werden und steht zur beliebigen Disposition. Regionale Ästhetiken und spezifische handwerkliche Techniken, derer sich Ina Loitzl neben modernen, zeitgenössischen Medien lustvoll bedient, findet man in allen Kulturen. Sie sind für die Künstlerin sichtbare, konsensuelle Zeichen des Heimatstolzes, die sie durch ihre Arbeit jedoch als bloße, plakative Hülle für einen viel diffizileren Heimatbegriff darstellt.

 

In der Ausstellung dekonstruiert Ina Loitzl mit einer guten Portion Humor Stück für Stück die einzelnen Bereiche des traditionellen ländlichen Wohnhauses als den Ort, an dem sich die Überschneidung von gesellschaftlichen Normierungen und Konventionen, privater Auslegung und tatsächlicher Lebensrealität am besten manifestiert und richtet damit ein künstlerisches „Heimatmuseum“ ein.

Die „Jägerstube“ wird zum Repräsentationsraum männlicher Potenz, in dem der Jagdtrieb und der Stolz auf das Erlegte in Sammlungen von Schießscheiben und Trophäen mit dem männlichen Sexualtrieb und Imponiergehabe in einer sex- und gewaltbezogenen, von medialen Bildern dominierten Welt gleichgesetzt werden. Ina Loitzl belässt es jedoch nicht bei einer oberflächlichen „Enttarnung“. Auf subtile Weise spricht sie Problemfelder an, die durch die alltägliche Lebensrealität in einer modernen Welt in die vermeintliche heile Idylle des traditionellen Heimatbildes einbrechen. Sie greift z. B. bei der vom Land Kärnten angekauften Doppelbildserie „Lebenstraum I und II“; 2007 u. a. Fragen des Umweltschutzes auf oder thematisiert aktuelle Epidemien wie Schweinepest und Hühnergrippe und zeigt – in der Dichtheit der Installation mit einer Fotocollage der „Saualmresidenz“ – versteckt, ihr persönliches Statement zu der damaligen, 2009 praktizierten Asylpolitik Kärntens.

 

Die „Küche“ als weibliches Revier, das Kochen und die Textilkunst sind traditionell feminine Domänen. Das Verspielte, Häusliche ist hier daheim. Die Schürzen an der Wand persiphlieren den Fleiß und das vermeintlich handwerkliche Können. Die Frau „Pars pro toto“ rotiert im ihr oft zwanghaft zugeordneten  Perfugium.

 

Die zuverlässige Spießbürgerlichkeit relativiert sich durch ein übertrieben aufgebautes Dekoltée, welches auf die reizbetonten Schnitte von Trachten hindeutet. Nicht zuletzt wird die Frau in Tracht auch hier Zielscheibe des männlichen Jägertriebes. Die Vielfalt der heimischen Muster und Motive sind von fremden Elementen wie chinesischen Drachen, Camouflagen oder persischen Paisleyornamenten durchbrochen, die einen postmodernen Stilmix zeigen und die Existenz verschiedener und äquivalenter paralleler Realitäten verdeutlichen. Gestickte Motive beziehen sich auf die traditionellen Rollenzuweisungen der Geschlechter und hinterfragen diese.

 

Die „Zirbenstube“ ist Gesellschaftsraum. Hier untersucht die Künstlerin die Ästhetik traditioneller bäuerlicher Einrichtungen – oder was dafür gehalten wird – und das dort angesiedelte gesellschaftliche Treiben. Sie kombiniert kleine quadratische Bilder von abstrahierten Stuhllehnen- und Geweihformen sowie Holzmaserungen zu modernen dekorativen Bildensembles. Zeitschriften zur alpinen Wohnkultur, das sozusagen „Schöner Wohnenmagazin“ der damaligen 70er Jahre, bietet mit seinen Schwarzweiss- und Farboffsetdruckabbildungen von Innenarchitektonischen Eltementen wie Stühlen, Tischen und Lampen Collageelemente, die  zu meditativen „Mandalas“ neu arangiert werden. Vielleicht ein Hinweis auf Kärntens Beziehungen zu Tibet über Heinrich Harrer?

Im Video „Jodelrap“ setzt sie das traditionelle Schuhplatteln mit zeitgenössischem Rap gleich und in „Heimatg´fühl“ lässt sie während einer freudigen Animation des tanzenden „Almdudlerpärchens“ zahllose bäuerliche Sinnsprüche vorbeiziehen, die üblicherweise gestickt auf Deckchen und Tischwäsche volkstümlich eingerichtete Räume zieren, um der Landbevölkerung ähnlich wie Gebetssprüche, Erklärungen und angebliche Sicherheit für Zukünftiges bereiten sollen.

Das „Herrgottswinkerl“ bringt schließlich mit beinahe gotteslästerlichen Ausrufungen auf Polstern und mit assemblagartig bearbeiteten Ikonenbildern der Muttergottes die nicht hinterfragte Volksfrömmigkeit und den Aberglauben durch eine Kniebank ganz direkt ins Spiel. Gerade die Verherrlichung Madonnas zur  „Übermutter“ setzt die heutige Frauengeneration mit dieser Ikone schamlos unter Druck.

 

Ina Loitzl stickt, näht, schneidet, klebt, malt und filmt – ganz im Sinne des Gegenstandes, der Volkskultur –, was das Zeug hält. Sie kombiniert in ihrer künstlerischen Arbeit Handwerk mit Kitsch und medialen Bildern, demaskiert Sein und Schein. Sie zeigt ein Bild, das vordergründig Lebensfreude vermittelt, aber zugleich verweist sie auf seine rigiden, einengenden Konventionen und Zuschreibungen. Indem die Künstlerin Aspekte des Brauchtums mit der modernen Lebensrealität konfrontiert und sie in ein globales Bezugsfeld setzt, unterscheidet sie einerseits authentisches Brauchtum von emotionsbefrachteter Heimattümelei und dechiffriert andererseits die abgründige und missbräuchliche Verfügung ihrer Inhalte.

 

Aus dem Ausstellungskatalog "Heimat / Domovina" Museum Moderner Kunst Kärnten, Mag.a Magdalena Felice, 2010, überarbeitete Fassung.

Eine kunst-und kulturhistorische Annäherung an Ina Loitzls "HEIMAT IV "

 

Geboren 1972 in Klagenfurt, studierte die umtriebige Künstlerin Ina Loitzl 1992 am Mozart Salzburg Grafik und virtuelle Medien, um dann 1992 an der Hochschule für angewandet Kunst in Wien zu studieren - bei dem mittlerweile in der österreichischen Kunstgeschichte zur  Medienkunstlegende inthronisierten Peter Weibel.  Sie engagiert sich nicht nur im Rahmen von Lehrtauftritten an Schulen exemplarisch im Bereich der Wissensvermittlung, sondern auch im sozialen Bereich. Als Mutter, Künstlerin und Unternehmerin ist ihr dies ein besonderes Anliegen, wie das auch in ihrem persönlich-kreativem Credo zum Ausdruck kommt: "Ich wollte nie berühmt werden, aber bewirken wollte ich etwas." Und dies gelingt ihr geradezu spielend, - auch auf die Gefahr hin, dass sie Applaus von jenen erhält, die sie vielleicht aus einer missverständlichen Rezeption ihrer Mittel als freundliche  "Gag-Lieferantin unterschätzen.  Die folgenden Zeilen möchten dieses Bild zurechtrücken.

Hort gehüteter Häuslichkeit

Künstlerisch arbeitet sich Ina Loitzl längst nicht nur an der Medien-Sparte  (Video und Animation) ab, sondern setzt auf handwerkliche Techniken, deren Verwendung bereits eine postfeministische Grundierung liefern: Näh- und Stickkunst, Collagen, bestickte Fotos, mit Trickfilmen kombinierte Grafiken und Scherenschnitte, die stets von der Heimat, den Geschlechter-Rollenbildern und hier besonders vom Frausein erzählen. Dabei werden postfeministische Versprechen manchmal salopp, manchmal irrwitzig komisch mittels Kunst und Kitsch aufs Korn genommen und nicht selten dekonstruiert. Kein noch so inflationiertes Heimatvokabel und streng gehütetes "Leitmotiv" selbsternannter Heimatverehrer und Heimatbeschützer bleiben bei Ina Lotzl ausgespart. Es geht ihr dabei um Zerstörung, Entweihung, Verfremdung bzw. Persiflage von Nischen scheinbarer Beheimatung, wie sie der traditionelle Herrgottswinkel  in der ihr so vertrauten Bauernstuben genauso repräsentieren wie das Jagdstüberl, der Männerstammtisch oder die Küche als den Frauen zugestandenes Hoheitsgebiet bzw. als Hort gehüteter Häuslichkeit und garantierter Hausmannskost..

Ort der Gefühle

Lustvoll bedient sich Loitzl an den über Jahrhunderte politisch-ideologisch überfrachteten Requisiten, die vom Dirndl über das Thema "Tracht" bis hin zum "Krickerl" im Jagdstüberl oder zu den ikonografisch selbst von Gläubigen oft "unverdauten "Heiligenbildern reichen, mit denen sie  mühelos Geschlechtergrenzen überwindet.  Unerschrocken parodiert sie damit dumpfe  Männertümelei, die in unseren Bereiten nur zu oft auch mit Deutschtümelei zu tun hat.   Diese möchten die Männer  am liebsten an ihren bierschwangeren Stammtischen, im Extrazimmerl oder im Jagdstüberl verortet wissen, wo sie scheinbar noch die diskursive Oberhoheit über Politisches, Militärisches, Jagdliches oder sonstig maskulin besetztes Thema haben - was wohl angesichts des Wahrheitsgehaltes mancher gewälzter "Heldengeschichte" ohnedies besser ist: "Es wird niemals so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd" (Otto von Bismark).  Liegt nicht der Reiz dieser Exklusivität ohnedies mehr in der Gemeinschaft der Gefühle? Ein Sprichwort besagt: "Heimat ist nicht der Ort, sondern die Gemeinschaft der Gefühle." Mit Heimat ist eben nicht nur der Boden gemeint, auf dem wir aufwachsen und auch nicht nur die Menschen, die uns prägen, sondern auch Historisches – neben Geschichtetem eben auch Geschichtliches. Schon Kurt Tucholsky meinte einmal: „Wer die Enge seiner Heimat begreifen will, der reise. Wer die Enge seiner Zeit ermessen will, studiere Geschichte.“ 

Ohne Heimat sein heißt Leiden

Loitzl weiß das und spielt daher auch mit diesen Gefühlen, weil sie aus dem Erfahrungshorizont zwischen Fremde und Beheimatung generiert werden: Heimat entsteht in der Fremde - eben dort, wo freilich auch die Fremden wiederum ihre Heimat - nicht unsere Heimat - haben. Aus der Erfahrung der weltweiten Migrationsströmungen klammert man sich daher heute mehr denn je krampfhaft an diese äußerlichen Signale der Zugehörigkeit - und vergisst dabei: Heimat ist immer etwas schmerzlich Verlorenes, eine Sehnsucht, die sich nie erfüllen lässt, oder wie schon Fjodor M. Dostojewski feststellte: "Ohne Heimat sein heißt Leiden." Heimat kommt ohne Bezugspunkte nicht aus. Oder: Man weiß eben nicht, was man an der Heimat hat, bis man in die Ferne kommt. Vielleicht ist es ja gerade diese Erfahrung, die einem das Zuhause kostbarer erscheinen lässt, bzw. den Abschied jedes Mal schwer macht. Dort setzt auch der Diskurs von Ina Loitzl an. Das Phänomen sorgt für emotionale Aufladung, die wohl schon seit Menschengedenken politisch, ökonomisch, kulturell und auch religiös instrumentiert wird. Auch wenn sich die Schauplätze und Protagonisten der Heimat für jeden von uns anders darstellen mögen. Jeder trägt dieses Heimatgefühl oder die Sehnsucht nach Beheimatung in sich: "Heimat ist etwas Verlorenes, eine Sehnsucht, die sich nie erfüllen lässt." (Edgar Reitz).

Was dauerhaft ist

Diese Sehnsucht kann allerdings auch zur Sentimentalitätsfalle werden, blendet man all die Veränderungen aus, die mit dem Wandel der Zeit und der Gesellschaft einhergehen. Gegen diese Gefahr,  die Erinnerungen an die Heimat nur noch auf eine wehmütige Bilanz von Verlusten zu reduzieren, ist jedoch niemand gefeit. Auch hier behält daher das Sprichwort seine Gültigkeit: „Nicht was der Zeit widersteht, ist dauerhaft, sondern was sich klugerweise mit ihr ändert.“ Und hier beginnt auch Ina Loitzls kritische Sicht - manchmal augenzwinkernd subtil, ein anderes mal unmißverständlich und plakativ - auch vor dem Kunstmittel "Kitsch" nicht zurückschreckend, um gesellschaftliche Verwerfungen anzuprangern. In der von Ina Lotzl ins Visier genommenen und immer  brüchiger werdenden Männerwelt wird den Frauen ihr präfeministisch-patriarchalisch-geduldeter Platz am Herd zugewiesen: Loitzl zeigt sie uns mit Schürzen und Kochlöffel, - oder in der Kirche - als duldsame Schmerzensmutter, ergebene Gebärerin und zugleich als Legitimierung dieser Rollenbilder.  

Inkarnation und Imitatio

Ina Loitzl arbeitet sich dabei intensiv am Religiösen, an ihren erstarrten und oft sinnentleerten Floskeln, wie auch an den  festgefrorenen Erscheinungsformen christlicher Sujtes ab. Ihre Kunst erweist sich damit eminent religiös - und zwar in dem Sinne, das sie uns daran erinnert, dass alle in den einprägsamen westlichen Ikonen religiöser Kunst artikulierte Dogmen und religiösen Vorstellungen bereits als Heilsgewissheiten verkauft werden, wo es doch oft nur um vage Heilsversprechen geht. In diesem Disput umkreist sie so gängige Sujets wie das Motiv der Pietá, die Darstellungsform der aus der Mystik des hl. Bernhard von Clairvaux abgeleiteten Maria lactans - oder eben auch die Kreuzigung Jesu.  Die inhaltliche  Profanierung und  die im Sumpf des Dekorativ-Ornamentalen einhergehende Verharmlosung religiöser Inhalte greift Ina Loitzl auf: Sie  sucht über den im Grunde traditionellen Weg der Imitatio das Wunder des "Incarnatus est", der Menschwerdung Jesu, zu ergründen.  Spätestens seit Max Ernst und seinem anfänglich als blasphemisch diffamierten Großgemälde "Die Jungfrau Maria verhaut den Jesusknaben" von 1926 muss sich freilich auch die Kirche darauf gefasst machen, dass die zeitgenössische Kunst diese Menschwerdung selbst in ihrer alltäglichen wie auch revolutionären Dimension thematisiert, will Religion nicht zu etwas verkommen, für das man heute, wie Max Ernst argwöhnte, keine Verwendung mehr hat.

Wer nicht arbeitet, ist heimatlos.

Und wer hat noch für den Heimatbegriff Verwendung? Die Künstlerin Ina Loitzl spielt mit einem weiteren problematischen Heimatbegriff, wie ihn etwa auch der Schriftsteller Berthold Auerbach (gest. 1882) ventiliert: "Heimisch in der Welt wird man nur durch Arbeit. Wer nicht arbeitet, ist heimatlos." Wo bleibt aber derer Heimat, die in Zeiten von Massenentlassungen - euphemistisch als "Freistellungen" heruntergespielt  - aus diesem gesellschaftlichen und ideologisch bedienbaren Idealbild der Fleißigen und Tüchtigen gleichsam über  Nacht herausgefallen sind? Haben demnach diese Entwurzelten, wie auch die Fremden, die Nie-Fußgefassten, die Unbequemen und die sich jeder Uniformiertheit entzogenen Menschen kein Recht auf Heimat?  Auch Tracht ist Ausdruck dieser Uniformiertheit. Und dieser als "Heimattracht" punzierten Kleidung auf dem Lande bietet  Ina Loitzl symbolisch die Stirn, indem sie das Imponiergehabe der TrägerInnen und die damit verbundene Gefahr der Ausgrenzung fokussiert. Der Begriff "Tracht" ist etymologisch aus dem Mittelniederdeutschen entlehnt und  meint das, "was getragen wird."  Aus heutiger Sicht wird er als Hinweis auf traditionelle und historische Kleidung bzw. als  Verdinglichung des Zugehörigkeitsgefühls verstanden. Die ersten bäuerlichen Trachten tauchen Ende des 15. Jahrhunderts auf, Ende des 18. Jahrhunderts bilden Volkstrachten bereits ein besonderes Phänomen, das sich auch vor dem Hintergrund des aufkommenden Exotismus und der Aufklärung  erklären lässt (schon 1754 entsendet etwa Maria Theresia Expeditionen in die Karibik, wo man vor Ort eingehend die "Volks- und Stammestracht" studiert).  Dieser Trachtenbegriff, der auch für die  Sichtbarmachung des Anderen und Fremden Anwendung fand, erinnert uns dramatisch auch an jene Ausgrenzungspolitik, die genaugenommen bis ins hohe Mittelalter zurückreicht: Bei der sog. Wiener Synode vom  Mai 1267 in St. Stephan in Wien wurde die Umsetzung jener judenfeindlichen Beschlüsse des  IV. Laterankonzils von 1215 gefordert, denen zufolge Juden zum Tragen  von "Judenhüten"  gezwungen wurden. Was hier als sichtbares Zeichen der Ausgrenzung gedacht wurde, sollte dann übrigens 1938 mit dem von NS-Regime für Juden verhängten Verbot des Trachtentragens gipfeln.

"Trachten" und "Dirndlkitsch"

Ina Loitzl bedient sich bei ihren "Trachten" und "Dirndl" am  Wühltisch der Ideologien und  des populären Heimatkitsches sowie der gängigen Heimatklischees. Damit dringt sie auch tief in die Wirkungsgeschichte von Kitsch vor, mit dem sie lustvoll spielt. - ohne ihre Arbeiten als eine Predigt gegen den Ungeschmack, als ein Pamphlet gegen den Kitsch, als verachtungsvolle Brandrede gegen Verlogenheit und Gefühle aus zweiter Hand-  oder als Empörung  gegenüber der Vorstellung von Kitsch als Kunstwunde oder künstlerische Impotenz zu verstehen. Vielmehr geht es ihr auch hier um die Frage, wo sich Kitsch überall im Heimatbegriff eingenistet hat, was wir damit verbinden und welche Gefühlsdefizite damit möglicherweise kaschiert werden sollen. Angesichts von Souvenirartikeln aus seelenloser Massenproduktion oder seichten Heimatfilmen im Alpenidyll fällen wir auch meist das einhellige Urteil: Das ist Kitsch - lächerlich-simple Kunstentartung, unechte, billige Nachäffung oder kommerzielle Massenware. Er bringt aber auch den sehnsüchtige Wunsch nach einer harmonischen Welt zum Ausdruck, die uns in der "Verkitschung" jedoch klischeehaft, trivial, geschmacklos und sentimental erscheint - ob in der bildenden und darstellenden Kunst, der Musik oder Literatur. Die grassierende Trivialisierung gesellschaftlicher Phänomene beschert uns daher auch in Politik, Medien und Werbung massenhaft Kitsch. Längst ist der Kitsch aber auch zu einem Stilmittel der Kunst geworden - in Form ironischer Brechung oder als Zitat. Daher ist es heute gar nicht einfach, den Begriff  Kitsch scharf genug von der Kunst abzugrenzen. In dieses Wechselspiel bindet  Ina Loitzl nur zu gerne auch die Rezipienten und Kritikern ihrer Kunst ein.  Ina Loitzl beschäftigt sich auch in dieser Heimatserie mit der Tyrannei des Niedlichen, mit dem Totalitätsanspruch des Kitsches, mit dem sich kürzlich auch der Künstler Sebastian Weissenbacher kunsttheoretisch  auseinandersetzte: Man lädt den Fluch des Kitsches in der Regel auf ein paar harmlose Dinge ab, meist im Bereich der Kunst, und übersieht dabei, dass er eigentlich in allen Lebensbereichen zu finden ist, so auch in Religion und Politik. Burghart Schmidt definierte Kitsch als „den kürzesten Weg zur scheinhaften Versöhnung des Menschen mit den Umständen“. „Eine Darstellung, die ganz eingängig ist, obwohl sie so zeigen will, als ob sie etwas neues zu vermitteln hätte, erstaunliches, überraschendes, aber an sich immer dasselbe wiederholt und wiederholt“.

Falsche Neigung ins Pathetische.

Er, der Kitsch, ist etwas dem Geschmack der breiten Masse angepasstes, meist süßes, sentimentales, der Wirklichkeit nicht entsprechendes, etwas ewig rückwärts gewandtes, verlogenes. Steckt nicht der Heimatbegriff auch in dieser ästhetischen Falle, als die ihn auch Ina Loitzl thematisiert? Der Pädagoge Stöcker präzisierte 1922 in seiner Arbeit „Der Mensch in der volkstümlichen Bildung“ diese Verbindung von Kitsch und Volkstum:  „Kitsch entsteht aus einer ethisch mittelmäßigen, subalternen Denk- und Gefühlsart, aus Seichtheit und charakterlichen Trivialitäten und zeigt sich im Missbrauch bloß konventionell gewordener, entlehnter Formen, in der Übertreibung ins Rührselige, gefühlshaft Überbetonte, wie in der falschen Neigung ins Imposante, Monumentale, Pathetische.“ Ina Loitzl bedient sich bei ihren Statements zum konfliktbeladenen Thema "Tracht" auch gängiger Werbestrategien. Die Textil- und Objektkünstlerin Loitzl greift sie dabei in witziger Weise auf und folgt damit einem Trend, dem wir beispielsweise auch an T-Shirts ablesen können, die mit folgenden jugendtauglichen Persiflagen auf die Trachtenmode aufwarten:   "Mei Lederhosn`hod no da Hirsch am Oarsch!", "Scheiß auf die Tracht, i hob durscht" oder "Ich trage keine Tracht. Die letzte habe ich als Kind bekommen." Diese Kritik kommt von einer Generation, die allerdings auch  ihrerseits zumeist in einer Tracht steckt, als die man die Jeansmode schon vor mehr als einem halben Jahrhundert als Ausdruck unangepasster Jugendlichkeit  erhoben hat.

Künstlerische Anregungen und Vorbilder

Abschließend wollen wir noch die Frage stellen, woher Ina Loitzl ihre formalen und stilistischen Anregungen bezieht und wer ihre Vorbilder sind? Man wird hier wohl zu den plastischen Assemblagen des Claes Oldenburg und weiter zurückgehen müssen. Die Verfestigung dieses Begriffs als Kunstmittel  können wir schon bei Marcel Duchamps, Pablo Picasso oder Raoul Hausmann beobachten: Sie setzten auf die Kombinationsmöglichkeit von vorgeformten, natürlichen oder hergestellten Materialien, Objekten oder Fragementen. Picasso nützt dieses künstlerische Verfahren prominent für die dreidimensionale kubistische Komposition "Tête de taureau" von 1942. Ab 1950 greift Jean Dubuffet den Begriff der Assemblage neuerlich auf, der 1961 in der richtungsweisenden Ausstellung  "The Art of Assemblage" auf breiter Basis diskutiert wird.  Parallel dazu haben die Dadaisten - und hier vor allem Kurt Schwitters - den Begriff der Assemblage weiterentwickelt. In den 60er Jahren hat in Österreich vor allem Curt Stenvert in dieser Technik spannende Botschaften ausformuliert. Daniel Spoerri, der sich in seinen Fallenbildern einen Namen gemacht hat, setzt sich ebenfalls in jüngster Zeit wieder mit dem Heimatbegriff auseinander: Zu diesem Behufe zerschnipselt er alte Kameradschaftsfahnen und erreicht durch die Sinnentstellung ihrer ursprünglich patriotischen Sprüche eine kritische Distanz zu den Kampf-, Durchhalte- und Siegesparolen von einst. Wolf Vostell ging dann in den 1950er Jahren  sogar soweit, dass er Fernsehgeräte in seine Objektbilder integrierte.  

Hört auf mit dem Klagen

Auch Ina Loitzl nützt die Ding- und Warenwelt ihrer Zeit, um daraus neue Inhalte zu komponieren, die jedoch stets in Beziehung zur ursprünglichen Bedeutung bzw. Nutzung des auf diese Weise entfremdeten Objekts stehen. Bei ihren Textilobjekten erzeugt sie nach Art der ebenfalls in den 60er Jahren entstandenen pneumatischen Skulpturen räumliche Wirkung, wobei sie aber nicht nur auf die pralle, scheinbar aufgeblasene Dimension des Kunstobjekts setzt, sondern auch mit dessen Erschlaffen und Schrumpfen berückende Effekte zu setzen weiß und so auch metaphorische, ideologische, politische oder sonstige Sinnschichten freilegt. Damit wird Ina Loitzl wohl auch dem gerecht, was schon Pablo Picasso vom Künstler eingefordert hat: Er ist gleichzeitig ein politisches Wesen, stets aufnahmebereit für bewegende, brennende oder glückliche Ereignisse, die er in jeder Weise erwidert. Wie ist das möglich, für andere Menschen kein Interesse zu zeigen und sich in einen elfenbeinernen Turm vor dem Leben zu flüchten (...)? Und zum problematischen Umgang mit der Heimat bzw. seiner Instrumentierung und ihren Auswüchsen unserer Tage können wir uns getrost dem Kirchenlehrer Aurelius Augustinus anschließen: "Es ist seltsam: Die Menschen klagen darüber, daß die Zeiten böse sind. Hört auf mit dem Klagen. Bessert euch selber. Denn nicht die Zeiten sind böse, sondern unser Tun. Und wir sind die Zeit."

 

Die Hirsche der Jodlerin
Multimediakünstlerin verbindet Wallfahrtskitsch, Jägerlatein und Medienkritik.

Von Brigitte Borchhardt - Birbaumer

Wir kennen die Sprüche von alten Stickereien: "Wenn alle Künste untergehen, die edle Kochkunst bleibt bestehen" und nehmen erleichtert zur Kenntnis, dass eine Künstlerin wie Ina Loitzl dieser Art von Untergang der Kunst und der Emanzipation mit subversivem Humor eine neue Collage samt gestickten Buchstaben entgegensetzt: "Teilst den Haushalt und bist nett, spielts abends was im Bett". Das postfeministische Versprechen setzt sich mit weiteren heiteren Nachhilfen in Sachen Kitsch und Peinlichkeit unserer Dekonstruktionen von Kunst im Turbokapitalismus fort.

Sie bestickt Fotos, collagiert Kleider und näht teils hängende Objekte, kombiniert diese wie Grafiken mit Video-Trickfilmen zu Installationen und ist auch in der Präsentation der Multimedia-Werke in der Galerie des Künstlerhauses trickreich unterwegs. Vordergründig ist es ein Spiel mit der scheinbaren Privatisierung von öffentlichen Räumen. Aber auch die Entweihung einer Kapelle, die Zerstörung einer Idylle ist enthalten, denn die Werke spielen humorvoll mit ländlichen Identitäten und Heimatgefühl, zeigen aber dazu die einengende Wirkung eines Brauchs zur Konvention und hinterfragen, was überhaupt noch übrig geblieben ist an wahren Ritualen und Traditionen in einer globalisierten Welt.

So sind ihre Herrgottsecken und Stuben mit ausgestopften Tieren, Stickereien, Kreuzen und Wunschkerzen alle mit altbekanntem Wallfahrtskitsch auf der einen Seite im Bunde, auf der anderen Seite ist ihre kritische Haltung gegenüber der neuen medialen Kitsch-Lawine der Werbung um nichts geringer. Das Archiv oder die museale Ansammlung von Trophäen bestückt Loitzl auf subversive Art mit erneuerter Textilkunst; ihre weichen Objekte verbinden die alte Daunendecke oder den geblümten Mustervorhang mit Bildschirmen der neuen Medien, sogar Fotos und Leinwände werden bestickt, beklebt, es wird hinter Glas gekratzt, zerschnitten und wieder zusammengesetzt, was das Zeug hält - dem teils auf den Kopf gestellten Rollenspiel der Geschlechter müssen auch Betrachter folgen.

Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft, Kunstgattungen und Medien mit doppelbödigem Inhalt aufzuzeigen, beherrscht die Künstlerin nach einem Studium im Mozarteum in Salzburg und bei Peter Weibel an der Angewandten in Wien in hohem Maß, was viele Preise in den letzten Jahren bestätigten. Berühmte Maler, geniale Gesten werden konterkariert - auch Picassos Liebe zu den Stieren in ein "Jägerlatein" übersetzt; die performativen Kräfte der frühen Feministinnen werden wie der Schuhplattler in ihre Filme hineingezogen. Wer hier nicht spurt, wird zum Freiwild und die endlosen Zöpfe der Damen im Dirndl wandeln sich in schwarze Lackobjekte einer strengen Kammer. Latex, Plexiglas und Siebdruck treffen auf Holz und Stoff, Samt auf Wachs und vergoldete Farbe, die gestickte "Madonna Lactans" auf ein Papierschnipsel-Mandala und die erfindungsreichen Titel ergänzen prompt: "Seufzerpolster" reiht sich an "Jodelrap". Die Zuagraste (Kärntnerin) wirkt seit mehr als einem Jahrzehnt in Wien.

Aus: „Wiener Zeitung“ 4. Juli 2014 zur Ausstellung „Ina Loitzl. Heimat VI – Zuagrast“ in der Künstlerhaus Galerie, Wien

HeimatSeit 2005Dort wo das Jagdzimmer
Teil des Kärntner Einfamilienhauses
Beliebtes Gästezimmer für Geselligkeit
Dort wo der Trieb Geweihe an der Wand bluten läßt
Wo in der Zirb’nstub’n Äste mit Jahresringen rangeln
Wo in der Kuch’l Schürzen
der Weibersleut’ Eitelkeit zieren
Wo im Herrgottswinkerl Stoßgebete ausgeweint
Ja dort bin ich fündig geworden:

Dort beginnt mein teures Heimatland

Ina Loitzl

Ich freue mich, dass mehrere Autorinnen Texte meinen Ausstellungen zum Thema Heimat gewidmet haben:
Magdalena Felice
Hannes Etzelstorfer
Brigitte Borchhardt - Birbaumer
Image(c) Marko LipusImageImageImage

Heimat IV - Wia a Zwitschern im Ohr und a Brett'l vor'm Kopf  

 

 

Heimat mag für jede/n individuell etwas anderes bedeuten. Doch wird der Begriff als Ausdruck für etwas Gemeinschaftliches, Verbindendes verwendet, im Sinne von „Unsere Heimat“, so ist man sehr schnell beim Brauchtum angelangt, der lebendigen Kultur einer festen (meist regionalen) Gemeinschaft, die identitätsstiftend und integrierend wirkt und die das Leben dieser Gemeinschaft durch gewachsene Bräuche, Riten und Feste strukturiert. Vor allem in ländlichen Regionen werden „Brauchtum“ und „Tradition“ als stabilisierende, gemeinschaftsbildende Faktoren hochgehalten und gepflegt.

 

Ina Loitzl, die seit mehr als zehn Jahren in Wien lebt, setzt sich u. a. seit 2005 in ihrem künstlerischen Werk kritisch und gegenwartsbezogen mit Tradition, Brauchtum und Folklore auseinander. Es geht ihr weniger um die Themen an sich als um das Eindringen dieser in die privaten und gesellschaftlichen, konkreten und sozialen Handlungsräume und Handlungsgepflogenheiten der Menschen. In ihren Arbeiten greift sie diverse Elemente des Kärntner Brauchtums sowie fremder Kulturen auf und verbindet sie mit zeitgemäßen Motiven und Techniken zu vorderhand humorvollen, aber tief hintergründigen Arrangements, die die Kluft zwischen Form und Inhalt offensichtlich machen. Sie verweisen auf den Bruch der Kontinuität, wenn die Bedeutung verloren geht und Bräuche zum Selbstzweck verkommen. Zugleich kann die Form durch neue Inhalte aufgeladen werden und steht zur beliebigen Disposition. Regionale Ästhetiken und spezifische handwerkliche Techniken, derer sich Ina Loitzl neben modernen, zeitgenössischen Medien lustvoll bedient, findet man in allen Kulturen. Sie sind für die Künstlerin sichtbare, konsensuelle Zeichen des Heimatstolzes, die sie durch ihre Arbeit jedoch als bloße, plakative Hülle für einen viel diffizileren Heimatbegriff darstellt.

 

In der Ausstellung dekonstruiert Ina Loitzl mit einer guten Portion Humor Stück für Stück die einzelnen Bereiche des traditionellen ländlichen Wohnhauses als den Ort, an dem sich die Überschneidung von gesellschaftlichen Normierungen und Konventionen, privater Auslegung und tatsächlicher Lebensrealität am besten manifestiert und richtet damit ein künstlerisches „Heimatmuseum“ ein.

Die „Jägerstube“ wird zum Repräsentationsraum männlicher Potenz, in dem der Jagdtrieb und der Stolz auf das Erlegte in Sammlungen von Schießscheiben und Trophäen mit dem männlichen Sexualtrieb und Imponiergehabe in einer sex- und gewaltbezogenen, von medialen Bildern dominierten Welt gleichgesetzt werden. Ina Loitzl belässt es jedoch nicht bei einer oberflächlichen „Enttarnung“. Auf subtile Weise spricht sie Problemfelder an, die durch die alltägliche Lebensrealität in einer modernen Welt in die vermeintliche heile Idylle des traditionellen Heimatbildes einbrechen. Sie greift z. B. bei der vom Land Kärnten angekauften Doppelbildserie „Lebenstraum I und II“; 2007 u. a. Fragen des Umweltschutzes auf oder thematisiert aktuelle Epidemien wie Schweinepest und Hühnergrippe und zeigt – in der Dichtheit der Installation mit einer Fotocollage der „Saualmresidenz“ – versteckt, ihr persönliches Statement zu der damaligen, 2009 praktizierten Asylpolitik Kärntens.

 

Die „Küche“ als weibliches Revier, das Kochen und die Textilkunst sind traditionell feminine Domänen. Das Verspielte, Häusliche ist hier daheim. Die Schürzen an der Wand persiphlieren den Fleiß und das vermeintlich handwerkliche Können. Die Frau „Pars pro toto“ rotiert im ihr oft zwanghaft zugeordneten  Perfugium.

 

Die zuverlässige Spießbürgerlichkeit relativiert sich durch ein übertrieben aufgebautes Dekoltée, welches auf die reizbetonten Schnitte von Trachten hindeutet. Nicht zuletzt wird die Frau in Tracht auch hier Zielscheibe des männlichen Jägertriebes. Die Vielfalt der heimischen Muster und Motive sind von fremden Elementen wie chinesischen Drachen, Camouflagen oder persischen Paisleyornamenten durchbrochen, die einen postmodernen Stilmix zeigen und die Existenz verschiedener und äquivalenter paralleler Realitäten verdeutlichen. Gestickte Motive beziehen sich auf die traditionellen Rollenzuweisungen der Geschlechter und hinterfragen diese.

 

Die „Zirbenstube“ ist Gesellschaftsraum. Hier untersucht die Künstlerin die Ästhetik traditioneller bäuerlicher Einrichtungen – oder was dafür gehalten wird – und das dort angesiedelte gesellschaftliche Treiben. Sie kombiniert kleine quadratische Bilder von abstrahierten Stuhllehnen- und Geweihformen sowie Holzmaserungen zu modernen dekorativen Bildensembles. Zeitschriften zur alpinen Wohnkultur, das sozusagen „Schöner Wohnenmagazin“ der damaligen 70er Jahre, bietet mit seinen Schwarzweiss- und Farboffsetdruckabbildungen von Innenarchitektonischen Eltementen wie Stühlen, Tischen und Lampen Collageelemente, die  zu meditativen „Mandalas“ neu arangiert werden. Vielleicht ein Hinweis auf Kärntens Beziehungen zu Tibet über Heinrich Harrer?

Im Video „Jodelrap“ setzt sie das traditionelle Schuhplatteln mit zeitgenössischem Rap gleich und in „Heimatg´fühl“ lässt sie während einer freudigen Animation des tanzenden „Almdudlerpärchens“ zahllose bäuerliche Sinnsprüche vorbeiziehen, die üblicherweise gestickt auf Deckchen und Tischwäsche volkstümlich eingerichtete Räume zieren, um der Landbevölkerung ähnlich wie Gebetssprüche, Erklärungen und angebliche Sicherheit für Zukünftiges bereiten sollen.

Das „Herrgottswinkerl“ bringt schließlich mit beinahe gotteslästerlichen Ausrufungen auf Polstern und mit assemblagartig bearbeiteten Ikonenbildern der Muttergottes die nicht hinterfragte Volksfrömmigkeit und den Aberglauben durch eine Kniebank ganz direkt ins Spiel. Gerade die Verherrlichung Madonnas zur  „Übermutter“ setzt die heutige Frauengeneration mit dieser Ikone schamlos unter Druck.

 

Ina Loitzl stickt, näht, schneidet, klebt, malt und filmt – ganz im Sinne des Gegenstandes, der Volkskultur –, was das Zeug hält. Sie kombiniert in ihrer künstlerischen Arbeit Handwerk mit Kitsch und medialen Bildern, demaskiert Sein und Schein. Sie zeigt ein Bild, das vordergründig Lebensfreude vermittelt, aber zugleich verweist sie auf seine rigiden, einengenden Konventionen und Zuschreibungen. Indem die Künstlerin Aspekte des Brauchtums mit der modernen Lebensrealität konfrontiert und sie in ein globales Bezugsfeld setzt, unterscheidet sie einerseits authentisches Brauchtum von emotionsbefrachteter Heimattümelei und dechiffriert andererseits die abgründige und missbräuchliche Verfügung ihrer Inhalte.

 

Aus dem Ausstellungskatalog "Heimat / Domovina" Museum Moderner Kunst Kärnten, Mag.a Magdalena Felice, 2010, überarbeitete Fassung.

Eine kunst-und kulturhistorische Annäherung an Ina Loitzls "HEIMAT IV "

 

Geboren 1972 in Klagenfurt, studierte die umtriebige Künstlerin Ina Loitzl 1992 am Mozart Salzburg Grafik und virtuelle Medien, um dann 1992 an der Hochschule für angewandet Kunst in Wien zu studieren - bei dem mittlerweile in der österreichischen Kunstgeschichte zur  Medienkunstlegende inthronisierten Peter Weibel.  Sie engagiert sich nicht nur im Rahmen von Lehrtauftritten an Schulen exemplarisch im Bereich der Wissensvermittlung, sondern auch im sozialen Bereich. Als Mutter, Künstlerin und Unternehmerin ist ihr dies ein besonderes Anliegen, wie das auch in ihrem persönlich-kreativem Credo zum Ausdruck kommt: "Ich wollte nie berühmt werden, aber bewirken wollte ich etwas." Und dies gelingt ihr geradezu spielend, - auch auf die Gefahr hin, dass sie Applaus von jenen erhält, die sie vielleicht aus einer missverständlichen Rezeption ihrer Mittel als freundliche  "Gag-Lieferantin unterschätzen.  Die folgenden Zeilen möchten dieses Bild zurechtrücken.

Hort gehüteter Häuslichkeit

Künstlerisch arbeitet sich Ina Loitzl längst nicht nur an der Medien-Sparte  (Video und Animation) ab, sondern setzt auf handwerkliche Techniken, deren Verwendung bereits eine postfeministische Grundierung liefern: Näh- und Stickkunst, Collagen, bestickte Fotos, mit Trickfilmen kombinierte Grafiken und Scherenschnitte, die stets von der Heimat, den Geschlechter-Rollenbildern und hier besonders vom Frausein erzählen. Dabei werden postfeministische Versprechen manchmal salopp, manchmal irrwitzig komisch mittels Kunst und Kitsch aufs Korn genommen und nicht selten dekonstruiert. Kein noch so inflationiertes Heimatvokabel und streng gehütetes "Leitmotiv" selbsternannter Heimatverehrer und Heimatbeschützer bleiben bei Ina Lotzl ausgespart. Es geht ihr dabei um Zerstörung, Entweihung, Verfremdung bzw. Persiflage von Nischen scheinbarer Beheimatung, wie sie der traditionelle Herrgottswinkel  in der ihr so vertrauten Bauernstuben genauso repräsentieren wie das Jagdstüberl, der Männerstammtisch oder die Küche als den Frauen zugestandenes Hoheitsgebiet bzw. als Hort gehüteter Häuslichkeit und garantierter Hausmannskost..

Ort der Gefühle

Lustvoll bedient sich Loitzl an den über Jahrhunderte politisch-ideologisch überfrachteten Requisiten, die vom Dirndl über das Thema "Tracht" bis hin zum "Krickerl" im Jagdstüberl oder zu den ikonografisch selbst von Gläubigen oft "unverdauten "Heiligenbildern reichen, mit denen sie  mühelos Geschlechtergrenzen überwindet.  Unerschrocken parodiert sie damit dumpfe  Männertümelei, die in unseren Bereiten nur zu oft auch mit Deutschtümelei zu tun hat.   Diese möchten die Männer  am liebsten an ihren bierschwangeren Stammtischen, im Extrazimmerl oder im Jagdstüberl verortet wissen, wo sie scheinbar noch die diskursive Oberhoheit über Politisches, Militärisches, Jagdliches oder sonstig maskulin besetztes Thema haben - was wohl angesichts des Wahrheitsgehaltes mancher gewälzter "Heldengeschichte" ohnedies besser ist: "Es wird niemals so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd" (Otto von Bismark).  Liegt nicht der Reiz dieser Exklusivität ohnedies mehr in der Gemeinschaft der Gefühle? Ein Sprichwort besagt: "Heimat ist nicht der Ort, sondern die Gemeinschaft der Gefühle." Mit Heimat ist eben nicht nur der Boden gemeint, auf dem wir aufwachsen und auch nicht nur die Menschen, die uns prägen, sondern auch Historisches – neben Geschichtetem eben auch Geschichtliches. Schon Kurt Tucholsky meinte einmal: „Wer die Enge seiner Heimat begreifen will, der reise. Wer die Enge seiner Zeit ermessen will, studiere Geschichte.“ 

Ohne Heimat sein heißt Leiden

Loitzl weiß das und spielt daher auch mit diesen Gefühlen, weil sie aus dem Erfahrungshorizont zwischen Fremde und Beheimatung generiert werden: Heimat entsteht in der Fremde - eben dort, wo freilich auch die Fremden wiederum ihre Heimat - nicht unsere Heimat - haben. Aus der Erfahrung der weltweiten Migrationsströmungen klammert man sich daher heute mehr denn je krampfhaft an diese äußerlichen Signale der Zugehörigkeit - und vergisst dabei: Heimat ist immer etwas schmerzlich Verlorenes, eine Sehnsucht, die sich nie erfüllen lässt, oder wie schon Fjodor M. Dostojewski feststellte: "Ohne Heimat sein heißt Leiden." Heimat kommt ohne Bezugspunkte nicht aus. Oder: Man weiß eben nicht, was man an der Heimat hat, bis man in die Ferne kommt. Vielleicht ist es ja gerade diese Erfahrung, die einem das Zuhause kostbarer erscheinen lässt, bzw. den Abschied jedes Mal schwer macht. Dort setzt auch der Diskurs von Ina Loitzl an. Das Phänomen sorgt für emotionale Aufladung, die wohl schon seit Menschengedenken politisch, ökonomisch, kulturell und auch religiös instrumentiert wird. Auch wenn sich die Schauplätze und Protagonisten der Heimat für jeden von uns anders darstellen mögen. Jeder trägt dieses Heimatgefühl oder die Sehnsucht nach Beheimatung in sich: "Heimat ist etwas Verlorenes, eine Sehnsucht, die sich nie erfüllen lässt." (Edgar Reitz).

Was dauerhaft ist

Diese Sehnsucht kann allerdings auch zur Sentimentalitätsfalle werden, blendet man all die Veränderungen aus, die mit dem Wandel der Zeit und der Gesellschaft einhergehen. Gegen diese Gefahr,  die Erinnerungen an die Heimat nur noch auf eine wehmütige Bilanz von Verlusten zu reduzieren, ist jedoch niemand gefeit. Auch hier behält daher das Sprichwort seine Gültigkeit: „Nicht was der Zeit widersteht, ist dauerhaft, sondern was sich klugerweise mit ihr ändert.“ Und hier beginnt auch Ina Loitzls kritische Sicht - manchmal augenzwinkernd subtil, ein anderes mal unmißverständlich und plakativ - auch vor dem Kunstmittel "Kitsch" nicht zurückschreckend, um gesellschaftliche Verwerfungen anzuprangern. In der von Ina Lotzl ins Visier genommenen und immer  brüchiger werdenden Männerwelt wird den Frauen ihr präfeministisch-patriarchalisch-geduldeter Platz am Herd zugewiesen: Loitzl zeigt sie uns mit Schürzen und Kochlöffel, - oder in der Kirche - als duldsame Schmerzensmutter, ergebene Gebärerin und zugleich als Legitimierung dieser Rollenbilder.  

Inkarnation und Imitatio

Ina Loitzl arbeitet sich dabei intensiv am Religiösen, an ihren erstarrten und oft sinnentleerten Floskeln, wie auch an den  festgefrorenen Erscheinungsformen christlicher Sujtes ab. Ihre Kunst erweist sich damit eminent religiös - und zwar in dem Sinne, das sie uns daran erinnert, dass alle in den einprägsamen westlichen Ikonen religiöser Kunst artikulierte Dogmen und religiösen Vorstellungen bereits als Heilsgewissheiten verkauft werden, wo es doch oft nur um vage Heilsversprechen geht. In diesem Disput umkreist sie so gängige Sujets wie das Motiv der Pietá, die Darstellungsform der aus der Mystik des hl. Bernhard von Clairvaux abgeleiteten Maria lactans - oder eben auch die Kreuzigung Jesu.  Die inhaltliche  Profanierung und  die im Sumpf des Dekorativ-Ornamentalen einhergehende Verharmlosung religiöser Inhalte greift Ina Loitzl auf: Sie  sucht über den im Grunde traditionellen Weg der Imitatio das Wunder des "Incarnatus est", der Menschwerdung Jesu, zu ergründen.  Spätestens seit Max Ernst und seinem anfänglich als blasphemisch diffamierten Großgemälde "Die Jungfrau Maria verhaut den Jesusknaben" von 1926 muss sich freilich auch die Kirche darauf gefasst machen, dass die zeitgenössische Kunst diese Menschwerdung selbst in ihrer alltäglichen wie auch revolutionären Dimension thematisiert, will Religion nicht zu etwas verkommen, für das man heute, wie Max Ernst argwöhnte, keine Verwendung mehr hat.

Wer nicht arbeitet, ist heimatlos.

Und wer hat noch für den Heimatbegriff Verwendung? Die Künstlerin Ina Loitzl spielt mit einem weiteren problematischen Heimatbegriff, wie ihn etwa auch der Schriftsteller Berthold Auerbach (gest. 1882) ventiliert: "Heimisch in der Welt wird man nur durch Arbeit. Wer nicht arbeitet, ist heimatlos." Wo bleibt aber derer Heimat, die in Zeiten von Massenentlassungen - euphemistisch als "Freistellungen" heruntergespielt  - aus diesem gesellschaftlichen und ideologisch bedienbaren Idealbild der Fleißigen und Tüchtigen gleichsam über  Nacht herausgefallen sind? Haben demnach diese Entwurzelten, wie auch die Fremden, die Nie-Fußgefassten, die Unbequemen und die sich jeder Uniformiertheit entzogenen Menschen kein Recht auf Heimat?  Auch Tracht ist Ausdruck dieser Uniformiertheit. Und dieser als "Heimattracht" punzierten Kleidung auf dem Lande bietet  Ina Loitzl symbolisch die Stirn, indem sie das Imponiergehabe der TrägerInnen und die damit verbundene Gefahr der Ausgrenzung fokussiert. Der Begriff "Tracht" ist etymologisch aus dem Mittelniederdeutschen entlehnt und  meint das, "was getragen wird."  Aus heutiger Sicht wird er als Hinweis auf traditionelle und historische Kleidung bzw. als  Verdinglichung des Zugehörigkeitsgefühls verstanden. Die ersten bäuerlichen Trachten tauchen Ende des 15. Jahrhunderts auf, Ende des 18. Jahrhunderts bilden Volkstrachten bereits ein besonderes Phänomen, das sich auch vor dem Hintergrund des aufkommenden Exotismus und der Aufklärung  erklären lässt (schon 1754 entsendet etwa Maria Theresia Expeditionen in die Karibik, wo man vor Ort eingehend die "Volks- und Stammestracht" studiert).  Dieser Trachtenbegriff, der auch für die  Sichtbarmachung des Anderen und Fremden Anwendung fand, erinnert uns dramatisch auch an jene Ausgrenzungspolitik, die genaugenommen bis ins hohe Mittelalter zurückreicht: Bei der sog. Wiener Synode vom  Mai 1267 in St. Stephan in Wien wurde die Umsetzung jener judenfeindlichen Beschlüsse des  IV. Laterankonzils von 1215 gefordert, denen zufolge Juden zum Tragen  von "Judenhüten"  gezwungen wurden. Was hier als sichtbares Zeichen der Ausgrenzung gedacht wurde, sollte dann übrigens 1938 mit dem von NS-Regime für Juden verhängten Verbot des Trachtentragens gipfeln.

"Trachten" und "Dirndlkitsch"

Ina Loitzl bedient sich bei ihren "Trachten" und "Dirndl" am  Wühltisch der Ideologien und  des populären Heimatkitsches sowie der gängigen Heimatklischees. Damit dringt sie auch tief in die Wirkungsgeschichte von Kitsch vor, mit dem sie lustvoll spielt. - ohne ihre Arbeiten als eine Predigt gegen den Ungeschmack, als ein Pamphlet gegen den Kitsch, als verachtungsvolle Brandrede gegen Verlogenheit und Gefühle aus zweiter Hand-  oder als Empörung  gegenüber der Vorstellung von Kitsch als Kunstwunde oder künstlerische Impotenz zu verstehen. Vielmehr geht es ihr auch hier um die Frage, wo sich Kitsch überall im Heimatbegriff eingenistet hat, was wir damit verbinden und welche Gefühlsdefizite damit möglicherweise kaschiert werden sollen. Angesichts von Souvenirartikeln aus seelenloser Massenproduktion oder seichten Heimatfilmen im Alpenidyll fällen wir auch meist das einhellige Urteil: Das ist Kitsch - lächerlich-simple Kunstentartung, unechte, billige Nachäffung oder kommerzielle Massenware. Er bringt aber auch den sehnsüchtige Wunsch nach einer harmonischen Welt zum Ausdruck, die uns in der "Verkitschung" jedoch klischeehaft, trivial, geschmacklos und sentimental erscheint - ob in der bildenden und darstellenden Kunst, der Musik oder Literatur. Die grassierende Trivialisierung gesellschaftlicher Phänomene beschert uns daher auch in Politik, Medien und Werbung massenhaft Kitsch. Längst ist der Kitsch aber auch zu einem Stilmittel der Kunst geworden - in Form ironischer Brechung oder als Zitat. Daher ist es heute gar nicht einfach, den Begriff  Kitsch scharf genug von der Kunst abzugrenzen. In dieses Wechselspiel bindet  Ina Loitzl nur zu gerne auch die Rezipienten und Kritikern ihrer Kunst ein.  Ina Loitzl beschäftigt sich auch in dieser Heimatserie mit der Tyrannei des Niedlichen, mit dem Totalitätsanspruch des Kitsches, mit dem sich kürzlich auch der Künstler Sebastian Weissenbacher kunsttheoretisch  auseinandersetzte: Man lädt den Fluch des Kitsches in der Regel auf ein paar harmlose Dinge ab, meist im Bereich der Kunst, und übersieht dabei, dass er eigentlich in allen Lebensbereichen zu finden ist, so auch in Religion und Politik. Burghart Schmidt definierte Kitsch als „den kürzesten Weg zur scheinhaften Versöhnung des Menschen mit den Umständen“. „Eine Darstellung, die ganz eingängig ist, obwohl sie so zeigen will, als ob sie etwas neues zu vermitteln hätte, erstaunliches, überraschendes, aber an sich immer dasselbe wiederholt und wiederholt“.

Falsche Neigung ins Pathetische.

Er, der Kitsch, ist etwas dem Geschmack der breiten Masse angepasstes, meist süßes, sentimentales, der Wirklichkeit nicht entsprechendes, etwas ewig rückwärts gewandtes, verlogenes. Steckt nicht der Heimatbegriff auch in dieser ästhetischen Falle, als die ihn auch Ina Loitzl thematisiert? Der Pädagoge Stöcker präzisierte 1922 in seiner Arbeit „Der Mensch in der volkstümlichen Bildung“ diese Verbindung von Kitsch und Volkstum:  „Kitsch entsteht aus einer ethisch mittelmäßigen, subalternen Denk- und Gefühlsart, aus Seichtheit und charakterlichen Trivialitäten und zeigt sich im Missbrauch bloß konventionell gewordener, entlehnter Formen, in der Übertreibung ins Rührselige, gefühlshaft Überbetonte, wie in der falschen Neigung ins Imposante, Monumentale, Pathetische.“ Ina Loitzl bedient sich bei ihren Statements zum konfliktbeladenen Thema "Tracht" auch gängiger Werbestrategien. Die Textil- und Objektkünstlerin Loitzl greift sie dabei in witziger Weise auf und folgt damit einem Trend, dem wir beispielsweise auch an T-Shirts ablesen können, die mit folgenden jugendtauglichen Persiflagen auf die Trachtenmode aufwarten:   "Mei Lederhosn`hod no da Hirsch am Oarsch!", "Scheiß auf die Tracht, i hob durscht" oder "Ich trage keine Tracht. Die letzte habe ich als Kind bekommen." Diese Kritik kommt von einer Generation, die allerdings auch  ihrerseits zumeist in einer Tracht steckt, als die man die Jeansmode schon vor mehr als einem halben Jahrhundert als Ausdruck unangepasster Jugendlichkeit  erhoben hat.

Künstlerische Anregungen und Vorbilder

Abschließend wollen wir noch die Frage stellen, woher Ina Loitzl ihre formalen und stilistischen Anregungen bezieht und wer ihre Vorbilder sind? Man wird hier wohl zu den plastischen Assemblagen des Claes Oldenburg und weiter zurückgehen müssen. Die Verfestigung dieses Begriffs als Kunstmittel  können wir schon bei Marcel Duchamps, Pablo Picasso oder Raoul Hausmann beobachten: Sie setzten auf die Kombinationsmöglichkeit von vorgeformten, natürlichen oder hergestellten Materialien, Objekten oder Fragementen. Picasso nützt dieses künstlerische Verfahren prominent für die dreidimensionale kubistische Komposition "Tête de taureau" von 1942. Ab 1950 greift Jean Dubuffet den Begriff der Assemblage neuerlich auf, der 1961 in der richtungsweisenden Ausstellung  "The Art of Assemblage" auf breiter Basis diskutiert wird.  Parallel dazu haben die Dadaisten - und hier vor allem Kurt Schwitters - den Begriff der Assemblage weiterentwickelt. In den 60er Jahren hat in Österreich vor allem Curt Stenvert in dieser Technik spannende Botschaften ausformuliert. Daniel Spoerri, der sich in seinen Fallenbildern einen Namen gemacht hat, setzt sich ebenfalls in jüngster Zeit wieder mit dem Heimatbegriff auseinander: Zu diesem Behufe zerschnipselt er alte Kameradschaftsfahnen und erreicht durch die Sinnentstellung ihrer ursprünglich patriotischen Sprüche eine kritische Distanz zu den Kampf-, Durchhalte- und Siegesparolen von einst. Wolf Vostell ging dann in den 1950er Jahren  sogar soweit, dass er Fernsehgeräte in seine Objektbilder integrierte.  

Hört auf mit dem Klagen

Auch Ina Loitzl nützt die Ding- und Warenwelt ihrer Zeit, um daraus neue Inhalte zu komponieren, die jedoch stets in Beziehung zur ursprünglichen Bedeutung bzw. Nutzung des auf diese Weise entfremdeten Objekts stehen. Bei ihren Textilobjekten erzeugt sie nach Art der ebenfalls in den 60er Jahren entstandenen pneumatischen Skulpturen räumliche Wirkung, wobei sie aber nicht nur auf die pralle, scheinbar aufgeblasene Dimension des Kunstobjekts setzt, sondern auch mit dessen Erschlaffen und Schrumpfen berückende Effekte zu setzen weiß und so auch metaphorische, ideologische, politische oder sonstige Sinnschichten freilegt. Damit wird Ina Loitzl wohl auch dem gerecht, was schon Pablo Picasso vom Künstler eingefordert hat: Er ist gleichzeitig ein politisches Wesen, stets aufnahmebereit für bewegende, brennende oder glückliche Ereignisse, die er in jeder Weise erwidert. Wie ist das möglich, für andere Menschen kein Interesse zu zeigen und sich in einen elfenbeinernen Turm vor dem Leben zu flüchten (...)? Und zum problematischen Umgang mit der Heimat bzw. seiner Instrumentierung und ihren Auswüchsen unserer Tage können wir uns getrost dem Kirchenlehrer Aurelius Augustinus anschließen: "Es ist seltsam: Die Menschen klagen darüber, daß die Zeiten böse sind. Hört auf mit dem Klagen. Bessert euch selber. Denn nicht die Zeiten sind böse, sondern unser Tun. Und wir sind die Zeit."

 

Die Hirsche der Jodlerin
Multimediakünstlerin verbindet Wallfahrtskitsch, Jägerlatein und Medienkritik.

Von Brigitte Borchhardt - Birbaumer

Wir kennen die Sprüche von alten Stickereien: "Wenn alle Künste untergehen, die edle Kochkunst bleibt bestehen" und nehmen erleichtert zur Kenntnis, dass eine Künstlerin wie Ina Loitzl dieser Art von Untergang der Kunst und der Emanzipation mit subversivem Humor eine neue Collage samt gestickten Buchstaben entgegensetzt: "Teilst den Haushalt und bist nett, spielts abends was im Bett". Das postfeministische Versprechen setzt sich mit weiteren heiteren Nachhilfen in Sachen Kitsch und Peinlichkeit unserer Dekonstruktionen von Kunst im Turbokapitalismus fort.

Sie bestickt Fotos, collagiert Kleider und näht teils hängende Objekte, kombiniert diese wie Grafiken mit Video-Trickfilmen zu Installationen und ist auch in der Präsentation der Multimedia-Werke in der Galerie des Künstlerhauses trickreich unterwegs. Vordergründig ist es ein Spiel mit der scheinbaren Privatisierung von öffentlichen Räumen. Aber auch die Entweihung einer Kapelle, die Zerstörung einer Idylle ist enthalten, denn die Werke spielen humorvoll mit ländlichen Identitäten und Heimatgefühl, zeigen aber dazu die einengende Wirkung eines Brauchs zur Konvention und hinterfragen, was überhaupt noch übrig geblieben ist an wahren Ritualen und Traditionen in einer globalisierten Welt.

So sind ihre Herrgottsecken und Stuben mit ausgestopften Tieren, Stickereien, Kreuzen und Wunschkerzen alle mit altbekanntem Wallfahrtskitsch auf der einen Seite im Bunde, auf der anderen Seite ist ihre kritische Haltung gegenüber der neuen medialen Kitsch-Lawine der Werbung um nichts geringer. Das Archiv oder die museale Ansammlung von Trophäen bestückt Loitzl auf subversive Art mit erneuerter Textilkunst; ihre weichen Objekte verbinden die alte Daunendecke oder den geblümten Mustervorhang mit Bildschirmen der neuen Medien, sogar Fotos und Leinwände werden bestickt, beklebt, es wird hinter Glas gekratzt, zerschnitten und wieder zusammengesetzt, was das Zeug hält - dem teils auf den Kopf gestellten Rollenspiel der Geschlechter müssen auch Betrachter folgen.

Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft, Kunstgattungen und Medien mit doppelbödigem Inhalt aufzuzeigen, beherrscht die Künstlerin nach einem Studium im Mozarteum in Salzburg und bei Peter Weibel an der Angewandten in Wien in hohem Maß, was viele Preise in den letzten Jahren bestätigten. Berühmte Maler, geniale Gesten werden konterkariert - auch Picassos Liebe zu den Stieren in ein "Jägerlatein" übersetzt; die performativen Kräfte der frühen Feministinnen werden wie der Schuhplattler in ihre Filme hineingezogen. Wer hier nicht spurt, wird zum Freiwild und die endlosen Zöpfe der Damen im Dirndl wandeln sich in schwarze Lackobjekte einer strengen Kammer. Latex, Plexiglas und Siebdruck treffen auf Holz und Stoff, Samt auf Wachs und vergoldete Farbe, die gestickte "Madonna Lactans" auf ein Papierschnipsel-Mandala und die erfindungsreichen Titel ergänzen prompt: "Seufzerpolster" reiht sich an "Jodelrap". Die Zuagraste (Kärntnerin) wirkt seit mehr als einem Jahrzehnt in Wien.

Aus: „Wiener Zeitung“ 4. Juli 2014 zur Ausstellung „Ina Loitzl. Heimat VI – Zuagrast“ in der Künstlerhaus Galerie, Wien

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